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Blance Blatt:  Realität und Traum: Ausrangierte Koffer voller Leben.

Die ursprünglich deutsche Künstlerin Blance Blatt lebt und arbeitet inmitten der Natur der Innerschweiz. Ihre Werke, meist in thematischen Serien geordnet (Aus dem Leben Heraus, Symbole / Zeichen, Therapie zur Kleinteiligkeit), entstehen aus dem Leben heraus, oft inspiriert durch die sie umgebenden Konditionen und Gegenstände.

Sie geht mit ihren Arbeiten bewusst eine Verantwortung mit dem Material ein, indem sie sich wie bereits Vorgänger wie Duchamp, Schwitters oder Rauschenberg der „appropriation“ (Aneignung) von bereits benutztem, teilweise ausrangierten Material bedient: Sie verwendet alte, gebrauchte Jutesäcke, Tischdecken, Kleidung, Handtücher und andere Textilien als Leinwände und produziert ihre eigenen Farben unter Verwendung von Naturpigmenten und Tapetenkleister, stets die Motive des Grundmaterials respektierend und integrierend.

Die Motive und Formen sind zumeist reduziert, zeichnen aber immer wieder menschliche und organische Figuren, Zeichen, Pflanzen, architektonische Strukturen. Motive, die sie umgeben, tagtäglich begleiten.

Was die Entstehungsgeschichte ihrer Bilder betrifft, so greift sie die Momente auf, in denen sie sich gerade bewegt oder befindet: Reisen, Übergänge, Bewegungen, zu Hause, widergespiegelt durch die verwendeten Handtücher, Gebrauchsgegenstände des Alltags, aber auch Zeichnungen auf Zeitungen, Notizbüchern und Servietten, Material, welches ihr gerade zur Hand geht. Ihre Inspirationen werden genährt durch das alltägliche Leben. Nicht sachliche, homogene Leinwände bilden den Untergrund, sondern Stoffe, die aus einem kunstfremden Bereich kommen, sozusagen zweckentfremdet und in den Kunstkontext überführt werden. Schwitters, Tàpies, aber auch der afrikanische Künstler N’Guessan (Côte d’Ivoire) haben sich dieser kunstfremden Materialien bedient, besonders wenn sie sich auf Reisen befanden und nicht die gewohnten Malmittel zur Verfügung hatten.(*1)

Das Material wird Ausdruck der Bewusstheit über Mangel in der Überflussgesellschaft, die Verwendung von Ausrangiertem und seiner gleichzeitigen Rekontextualisierung als auch Aufwertung kommt einem Statement gleich. Dies kann im Betrachter individuelle Assoziationen abrufen, da er mit dem verwendeten Material, besonders dem alltäglichen, ganz bestimmte Erinnerungen verbindet.(**2) Im Sinne von Marcel Broodthaers, in der Tradition Marcel Duchamps, trennt sie jedoch den Inhalt von der Form, das verwendete Material von der Aussage der Bilder, und dies stets mit einem Funken Humor und Poesie, gepaart mit einer kritischen Grundhaltung und der Intention, den Betrachter zum Nachdenken anzuregen. Die Hunde, die beide Augen zudrücken und auf den zweiten Blick drei Gesichter darstellen (Doppeldeutigkeit), das Kuscheltier mit zugenähtem Mund (Kindheit und Erinnerungen, fehlende Menschlichkeit in der computergesteuerten Welt), Ströme von Menschen (Migrationsthematik), all dies Metaphern von Kontroversen und Konflikten, aber auch eine Anspielung auf die Gegenwartskultur und die damit verbundenen Gesellschaftsproblematiken.

Erforscht man nun den Inhalt der Arbeiten, fühlt man sich zunächst sehr stark in die Welt der Träume gezogen, hier durchaus betrachtet in Anlehnung an Paul Klee, dessen Malerei eine der Inspirationsquellen für Blance Blatt darstellt. Hier kann man besonders sein Buch Bilder träumen als Referenz zu Rate ziehen. Das Werk von Blance Blatt scheint im Gegensatz zu dem von Paul Klee allerdings einen eher nüchternen Bezug zur Kindheit und Traumwelten zu zeigen.

Die Künstlerin schafft ihre ganz eigene Bildsprache. Paul Klee’s Ohne Titel (Komposition mit Früchten), um 1940, welches zum Spätwerk des Malers gehört, findet in Blance Blatt’s „Berührende Begegnungen“ (verschiedene Versionen) eine ganz neue Interpretation. Geradlinige, ja förmlich kubistisch aufgespaltene Zeichen, die an Strichmännchen erinnern, bevölkern die Bildoberfläche, man kann sie aber erst auf den zweiten Blick hin individuell identifizieren. Sie spricht von Flüchtlingsströmen (ganz die Gegenwartssituation aufgreifend), während Paul Klee Früchte interpretierte (gezeichnet durch Krankheit und Kriegswirren, wurden die Werke des Malers dunkler, das Format größer, die Motive und Farben einfacher).

Die Welt der Träume führt uns wiederum zur literarischen Romantik, einer Epoche (1795-1848), in der Begriffe wie Sehnsucht und Unendlichkeit, die Aufhebung von Grenzen, besonders zwischen Traum und Wirklichkeit, Vorliebe für das Wunderbare und eine Universalpoesie propagiert wurden, aber auch eine Gesellschaftskritik deutlich wurde. Eine besondere Referenz ist hier der Gebrüder Schlegels 116. Athenaeums-Fragment:

“Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren, und die Formen der Kunst mit gediegenem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen, und durch die Schwingungen des Humors beseelen.“(***3)

Blance Blatt tut genau dies in ihren Werken: Sie poetisiert den Witz, macht die Poesie lebendig und gesellig, macht das Leben und die Gesellschaft poetisch, füllt die Formen der Kunst mit gediegenem Bildungsstoff jeder Art an. Und sie lässt, auf den ersten Blick, Sehnsucht nach Kindheit, Unendlichkeit, Weite, Zweisamkeit und Friedlichkeit, Romantik aufkommen. Wenn man ihre Bilder dann aber eingehend betrachtet, stellt man fest, dass sie eigentlich vom Gegenteil sprechen, nämlich von Kindheitstrauma („Kuscheltier“), Flüchtlingsströmen und Traurigkeit („Berührende Begegnungen“), Krankheit („Du und ich“), Endlichkeit des Lebens und Angst, Sehnsucht nach Frieden („Heilige Familie“). Ihr gesamtes Werk wird genährt von Gegensätzen, Gegenüberstellungen, die Darstellung von innerer Zerrissenheit und dem Bedürfnis nach Frieden und Einfachheit. Ihre Arbeiten entführen uns in eine Welt der Träume, die an Kindheit erinnern, ob positiv oder negativ, ob leicht oder schwer, ob Albtraum oder Frieden.

Die Künstlerin hat über die Jahre unzählige Bilder gemalt, lagert sie besonders in alten Koffern und Schachteln: ein weiterer Aspekt, der die Idee des Reisens, des Wanderns, der Bewegung, wie sie bereits in der Verwendung der Materialien widergespiegelt ist, untermauert. Er stellt aber auch die Begrenztheit dar, die Limitierung, den Mangel an Zeit, Material und Raum. Erst wenn sie den passenden bereits benutzten Rahmen für ein Bild gefunden hat, wird dieses aus dem Lager befreit und direkt in den Rahmen eingepasst und gesetzt, der Rahmen ersetzt den Keilrahmen und wird Teil des Bildes. Ein Bild kommt ans Licht.

Blance Blatts Werk ist ein Aufruf an mehr Sorgsamkeit des Seins, dem Mitmenschen, den Dingen, dem Essen, der Umwelt, der Gegenwart, dem Leben gegenüber.

Anne-Marie Melster     /    24/10/2016
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(*1) Thomas Fillitz: Zeitgenössische Kunst aus Afrika: 14 Gegenwartskünstler aus Côte d'Ivoire und Benin. Wien, Köln, Weimar. 1997, 71.

(**2) Vgl: Monika Wagner: Das Material der Kunst: Eine andere Geschichte der Moderne. C.H. Beck Verlag. München. 2002, S. 110
Paris 24. Oktober 2016
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(***3 )Athenaeum: Eine Zeitschrift von August Wilhelm und Friedrich Schlegel. Berlin 1798, Fragmente, S. 28-30 (https://archive.org/details/bub_gb_sCA9AAAAIAAJ)
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